Schizophrenie des Kindes- und Jugendalters

Eine Rezension-Neuropädie 11. Jg 2012 Nr. 1
Hrsg.: Christian Eggers, Medizinisch Wissenschaftliche Verlaggesellschaft, Berlin 2011 515 5., 46 Abb., 88 Tab., Geb. Euro 84.95   ISBN 978-3-941468-39-9

Schizophrenie des Kindes- und Jugendalters

Geisteskrankheiten sind Hirnkrankheiten", diese Feststellung das Psychiaters Wilhelm Griesinger (1817-1868) ist durch die moderne neurobiologische Forschung in vielen Aspekten bestätigt worden, kennzeichnet aber auch die engen Verbindungen zwischen den mit dem Nervensystem befassten Fächern, sie muss auch für die Beziehungen der Neuro-pädiatrie zu ihrer Nachbardisziplin Kinder- und Jugendpsychiatrie gelten.
Die Schizophrenie und ihre oft dramatische, stets schwer einfühlbare und wechselhafte Psychopathologie sind in vielen Aspekten noch rätselhaft, besonders wenn Kinder und Jugendliche davon erfasst werden. Mit der vorliegenden, umfassenden Darstellung dieser Problematik ist dem langjährigen Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters an den Kliniken der Universität Duisburg-Essen die Krönung seines Lebenswerkes gelungen, nachdem er viele seiner Patienten mehr als 40 Jahre begleiten konnte und somit eine unvergleichlich genaue, authentische Katamnese zu präsentieren vermag. Der gegenwärtige Wissensstand wird auf der Grundlage eigener Erfahrungen geschildert, ohne die in stetem Fluss befindliche neurobiologische Forschung zu vernachlässigen, was allein das umfangreiche Literaturverzeichnis beweist. Es kann heute als gesichert gelten, dass genetische Faktoren ebenso am Entstehen der Schizophrenie beteiligt sind wie manche lebensgeschichtlichen Ereignisse und viele psychosoziale Einflüsse. In der individuellen, stets einmaligen Situation kann nur durch eine sorgfältige Analyse der Psychopathologie und bei kritischer Wertung der Verlaufsdynamik entschieden werden, welche ätiopathogenetischen Zusammenhänge es gibt, was nicht zuletzt therapeutische Konsequenzen hat. Überzeugend wird dieses Wechselspiel immer wieder begründet, auch durch eine empathische Schilderung des Lebenswegs einzelner Patienten. Selbst nach einer dramatisch anmutenden Symptomatik kann es zur Heilung kommen, es gibt aber auch wechselhafte, lang dauernde Verläufe und solche, die zu einem so genannten Defektzustand führen. Prognostische Aussagen sind vor allem bei frühem Krankheitsbeginn schwierig.

Einleitend werden Probleme der Definition und Klassifikation sowie Angaben zur Prävalenz diskutiert. Die Schilderung der Symptomatologie bzw. Phänomenologie, besonders der Denk-und Sprachstörungen gibt ein anschauliches und eindrucksvolles Bild von den psychischen Veränderungen. Darauf basieren Diagnose und Differenzialdiagnose, nicht zuletzt bei der Abgrenzung von exogenen Psychosen. Bedeutsam sind auch prämorbide Symptome, Prodrome und Vorpostensyndrome. Die Ätio-pathogenese wird unter Berücksichtigung aktueller Forschungsergebnisse detailliert, aber auch kritisch dargestellt; die Bedeutung genetischer Faktoren und von hirnmorphologischen Normabweichungen wird diskutiert, ebenso verschiedene neurobiologische Hypothesen, auch vermutete prä- und perinatale Risikofaktoren. Als bedeutsam sind die Gen-Umweltinteraktion im Sinn der Epigenetik herausgestellt, auch psychosoziale Faktoren und Stressoren. Für die Therapie muss ein ausgewogenes, multimodales Vorgehen angestrebt werden, das Psychopharmaka und ihre Wirkungen ebenso berücksichtigt, wie psychosoziale Maßnahmen, Therapie mit Familien und Angehörigen, aber auch individuelle Psychotherapie. Den Erfolg derart abgestimmter Maßnahmen demonstriert eine Schilderung der vom Autor initiierten und durch eine seinen Namen tragende Stiftung ermöglichte pädagogisch-therapeutischen Modelleinrichtung „Trialog" in Essen: Hier erhalten junge Patienten mit Schizophrenie die Gelegenheit, einen schulischen und beruflichen Abschluss zu erwerben; es wird ihnen der Weg ins Leben erleichtert. Wie hilfreich es dabei ist, tiefenpsy-chologisch-psychodynamische Aspekte einzubeziehen, wird einfühlsam und überzeugend gezeigt, auch an Stellungnahmen von Patienten zu ihrer Erkrankung.

Das umfangreiche, inhaltsschwere Buch istallen neuropädiatrisch Tätigen zu empfehlen, die sich für psychiatrische und psychotherapeutische, anthropologische und philosophische Fragen interessieren, die aber auch umfassende, aktuelle Informationen zur Ätiopathogenese und über allgemein wichtige neurobiologische Grundlagen suchen. Die Lektüre des flüssig geschriebenen Textes ist überaus spannend, vermittelt sie doch ein plastisches Bild von der rätselhaften Krankheil und gibt Einblick in manche Geheimnisse, die schizophrene Psychosen nach wie vor umgeben. Durch ihre Vielgestaltigkeit und mit dem unvorhersehbaren Einbruch in ein individuelles Schicksal stellt diese Krankheit immer wieder eine besondere ärztliche Herausforderung dar. Dass diese nicht allein mit einer medizinisch-neurobiologischen Sichtweise zu bewältigen ist, davon legt das Buch ein beredtes Zeugnis ab.

Gerhard Neuhäuser, Linden